Der weiteste, thermische Alpenstreckenflug aus der Schweiz

Am 1. Juni 2021 erreichte ich mit 1081.8km den (meines Wissens) bisher weiteste,
rein thermischer Alpenstreckenflug über drei freie Wendepunkte aus der Schweiz nach Regeln des internationalen Verband FAI (Fédération Aéronautique Internationale, SC3 1.4.2).

 

von Jürg Haas

 

Zugerberg-Aigen-Selva-Wisshorn-Zugersee

WeGlide.org: 1102km | 111km/h | Jürg Haas | JS1-C

Vorwort | In den letzten Jahren wurden zunehmend mehr und mehr Flüge über 1000km gemeldet. In der Schweiz besonders bei Föhnlagen oder mit Routen in Verbindung des Jura mit Süddeutschland. Meistens hatten diese eine Gemeinsamkeit: Es wurde die Distanz über 6 Schenkel kumuliert und mit den Regeln des privaten OLC gewertet. Ausgeschriebene oder freie Flüge nach internationalen FAI-Regeln über diese Distanz sind in der Schweiz weiterhin nur sehr vereinzelt zu finden. Der letzte ausgeschriebene Streckenflug über 1000km ist noch nicht lange her. Es war ein FAI-Dreieck von Bert Schmelzer ab Hausen am 12.07.2020, jedoch mit Abflug im Schwarzwald. Der letzte thermische 1000er in den Alpen liegt noch weiter zurück, am 30.07.2018 durch Gabriel Rossier ab Bex.
Den bisher weiteste, thermische Flug in den Alpen mit Startpunkt in der Schweiz hat ebenfalls Gabriel Rossier erreicht, bei einem ausgeschrieben 1000-FAI-Dreieck ein Jahr zuvor am 20.06.2017. Dabei war die freie Strecke um drei Wendepunkte 1062km lang. Warum werden diese Flüge so selten durchgeführt, dazu zähle ich mich auch!? Einerseits ist es schwieriger als die bequemen sechs Schenkel. Andererseits geht die dezentrale Wertung über den OLC, welcher mit einem eigenen Regelwerk solche Flüge nach FAI entweder nicht bevorteilt oder sogar benachteiligt…

Rückblick | Nach dem es im Monat Mai eher wenige, gute Flugtage gab, wurde es am letzten Mai-Wochenende nochmals richtig gut.
Rainer konnte dank Eigenstart am Sonntag einen frühen Abflug im Schwarzwald machen und seinen Flug im besten Gebiet legen. Die schwäbische Alb ganz ausgeflogen und mit einem Abstecher in die bayerische Voralpen gelang ihm einen Flug über 1000km nach OLC-Regeln.
Felix und Jörg trotzten der Biese und flogen dank guter, labiler Luftmasse den Voralpen entlang ins Tirol und weiter über Zell am See hinaus… Ebenfalls zwei schöne und weite Streckenflüge. Nun mir war es weder Sonntag noch Montag möglich zu fliegen. Als am Montag Gerhard Wesp noch einen Flug ab Schänis bis zum Grimming machte, hoffte ich einfach, dass der Dienstag 1. Juni trotz Prognose, welche eher eine stabilere Luftschichtung ankündigte und somit späterer Thermikbeginn doch besser wird…

Der Flug | Glücklicherweise konnte ich Felix dankenswert spontan zum Schleppen gewinnen und setzte den Start auf 10 Uhr an. Schließlich wurde es mit 10:14Uhr etwas später. Das Schleppziel war der Rossberg, mit Option weiter in Richtung Pilatus. Denn gemäß meinen Vorhersagen, war dort die Thermik früher zu erwarten. Ich dachte, es sei sowieso noch auf der frühen Seite und hoffte, dass nich gerade der komplette Alpenhimmel wolkenlos wäre…
Nun, nach der ersten Kurve im Schlepp, gerade an den Bäumen vorbei geflogen, erblickte ich eine bestens entwickelte Cumuli-Landschaft mit sehr hoher Basis. Wow, super! – aber ist das thermischer Ursprung oder nur eine Luftmassenschicht?! Der Schlepp verlief vollkommen ruhig, die Basis war hoch, bestimmt über 2500m. Ich zweifelte erst etwas, es schien als die morgendliche Stratusbewölkung cumulierte. Jedenfalls war der Plan Pilatus nun vom Tisch, denn der Weg via Rossberg-Alpthal sah grundsätzlich vielversprechend aus, falls es Thermik ist.

Es geht, und wie – führte mich der erste Aufwind im Schnitt auch gleich mit 1.4m/s bis gegen 2500m.ü.M.
Nun war mir klar, ich bin mindestens eine halbe Stunde zu spät. 09:30 starten hätte funktioniert. Das verspricht einen guten Flugtag. Noch etwas unsicher schien die Gewitterneigung gegen Abend, welche letztes Jahr einen ähnlichen Tag früh beendete.

(Tipp | An guten, thermischen Flugtagen mit gutem Gradient, kann man so ab Ende April immer um 10 Uhr starten. Die Sonnenenergie ist zuvor schon genügend stark und bis zum erreichen der ersten Thermik gehen noch einige Minuten vorbei. Dazu muss aber die Luftmasse stimmen. Kaltluft unter Hochdruckeinfluss verspricht prinzipiell einen guten Flugtag.)

Ich setze die Route möglichst der Schneegrenze entlang und versuchte lange im hohen Gelände zu bleiben. Die Route soll jetzt mal bis Zell am See gehen und dann vielleicht noch ins Wallis?!

Relativ einfach ging es mit mäßigen Steigwerten bis zum Arlbergpass. Dort verschwanden dann die hübschen Cumuli. Erst in der Region Zugspitze und in den bayerischen Voralpen hatte es wieder grössere Wolken. Das Inntal bis Innsbruck, Engadin, Ötztal war (noch) blau. Einzig kleine Wolkenfetzen im Inntal zeigten etwas Luftmassenaktivität.

Arlbergpass

Nach dem guten Abflug war es ab der Flumserberg bis zur Zugspitze nun doch eher mässig. Über Mittenwald flog ich weiter nordöstlich. Die schönen Wolken waren hier. Dies motivierte mich den Voralpen entlang zu fliegen. Von der Zugspitze bis zum Rofan ging das sehr gut. Anschließend flog ich direkt nach Süden, denn nun standen schöne Wolken bis ins Pinzgau.

(Tipp | Effizient fliegen heisst eine direkte Route zu finden ohne Tiefpunkte, mit ordentlichen Steigwerten und gute Energielinien. Meist sind es die klassischen Routen. Aber wenn die Wetteroptik Anderenorts klar besser ist, kann nicht viel schief gehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, wenn die Optik beiden Orts ähnlich ist, wird eine klassische Route eher effizienter sein.)

bayrische Voralpen

Im Pinzgau musste ich zuerst das Steigen etwas suchen. Mir wurde dann schnell klar, dass der Nordwind hier stärker wurde. Nun kam die Idee auf, via den Dolomiten retour zu fliegen. Ich legte mir den Plan fest, mal bis Zell am See und dann weiter um einen günstigen Punkt für die Alpenüberquerung zu finden.


Leider wurde es bald nach Zell ziemlich blau. Einzelne Cumuli standen weit gestreut, die Thermik zerissener – scheinbar floss hier Warmluft ein. Ich fand so keinen guten Übergang in den Süden, es war komplett blau und noch völlig verschneit. So entschied ich mich, mittlerweile beim Dachstein, einfach noch etwas weiter zu fliegen. Nach dem Grimming standen nämlich wieder schöne Wolken. Nach einer weile unter diesen, welche erstaunlicherweise kaum gute Steigwerte brachten, entschloss ich mich bei Aigen zu wenden. Der Abschnitt in der warmen Luftmasse war schon etwas langsamer als zuvor.

(Tipp | Oft ändert sich die Luftmasse im Verlauf eines grossen Streckenfluges. Drehe nicht sofort um! Etwas defensiver weiter Fliegen und sich überlegen was sich gerade verändert hilft. Wenn die Steigwerte von unten heraus gut bleiben, sind auch längere Gleitstrecken gut machbar. Oder wenn das Steigen abnimmt sind möglicherweise die Aufreihungen gut?!)

Dachstein

Auf dem Rückweg versuchte ich dann nochmals in den Süden zu gelangen und querte vom Dachstein direkt auf die südliche Talseite, wo auch erst wieder das nächste Cumuli stand. Von dort war der Weg bis zu den nächsten Wolken auf der Südseite rund 40km. An entscheidender Stelle kam ich aber nicht recht hoch, es gelang mir nicht ohne Zeitverlust ins höhere Gelände vorzufliegen. Dann war schon bald wieder das Grossglockner-Massiv neben mir…

Pinzgau Blick nach Süden

Da ich nur die Entwicklung der Thermik im verschneiten Pinzgau beobachten konnte und Vormittags das Engadin völlig blau war, entschloss ich mich folglich die mir bekannte Route zurück zu nehmen. Die Variante via Brenner wäre reizend gewesen. Leider konnte ich keinen Einblick in die dortige Weiterentwicklung nehmen und so genau hatte ich die Prognosen nun auch nicht studiert, also hatte ich keine Idee was mich dort erwartet hätte.

Nun es lief ziemlich gut bis zum Parseierspitz und Ischgel, dort mit gutem Steigen auf 3700m und weiter via Klosters auf der direkteren Route nach Davos. Das ging recht gut, jedoch kam ich erst nach Davos wieder mit wirklich gutem Steigen hoch.

Anschließend war die Route am Rheintal entlang relativ unspektakulär. Die Basis war nicht sehr hoch, die Wolken jedoch großflächig und es war einfach tragende Linien zu finden. Zuvor setzte ich noch eine südliche Ecke für das OLC-Dreieck, welches ich leider später wegen dem Biese-Lee am Zugerberg knapp nicht schließen konnte.

Aus den grossen Wolken im Rheintal tropfte es stellenweise. Aber vor dem Oberalbpass unerwartet der plötzliche Wetterwechsel. Unter einer dicken, leicht abfallender Wolke schoss ich hervor ins blaue. Wolkenlos bis weit ins Wallis. Das habe ich so nicht erwartet.
Auf nur 3200m wollte ich nicht die ultra lange Querung über den Furka ins ebenfalls wolkenlose Goms machen, denn es war bereits deutlich nach 18Uhr.
Die Voralpen sahen auch nicht stark entwickelt aus, zumindest das kleine sichtbare Stück. Die Option die letzte Wende im Berner Oberland statt im Wallis zu setzen, wäre auch eine Lotterie gewesen. Ich erachtete den optisch gute. Rückweg nach Davos als sinnvoller.
So flog ich nochmals zurück, mit dem Gedanken im besten Fall dort auf 3600-3700m zu steigen, was mir einen direkten Heimweg ermöglichen würde.

(Tipp| Nutze ganz grundsätzlich gegen Abend immer das höchst mögliche Gelände. Du hast mit der Höhe mehr Möglichkeiten, längere Sonneneinstrahlung und somit ein einspäteres Thermikende. Das alpine Pumpen verstärkt diesen Effekt, da im Verlauf des Nachmittags tiefere Berge überspült werden.)

In der Region Thusis gingen die Steigwerte aber nun unter 1m/s und meine Höhe war immer noch eher um die 3000m. Bis dahin war meine Geschwindigkeit rund 114km/h. Das erreichen der Endanflughöhe kostete nun aber Speed. Es gelang mir den Flugweg durch eine geschickte Linienwahl gut zu strecken und die Höhe möglichst zu halten. Aber auch in Klosters war die letzte grössere Wolke am zerfallen. Bei mir war noch Andreas Spielmann, welcher etwas höher einige potentielle Steigzonen ohne Erfolg absuchte, aber mir so wertvolle Informationen lieferte.
Nun meinen Rechner sagte mir eine knappe Ankunft in Hausen, so setzte ich den letzten Wendepunkt. Kurze Zeit später flog ich an der 1000km-OLC marke vorbei.

Oberhalb der Sassauna entwickelte sich noch einen Wolkenfetzen jedoch ohne nennenswerter lupfer, aber weiter vorne am Falknis stand eine noch schönere Wolke. So hielt ich direkt drauf zu und tatsächlich kam nochmals einen guten Meter, welcher mir angenehme 400 Höhenmetern schenkte. Ich hätte mich geärgert, mit dieser Höhe nicht zu versuchen den Flug am Zugerberg zu schließen. Aber wie schon erwähnt, war die Biese und das Lee knapp zu stark…
Nach dem langen Endanflug landete ich um 20:29 nach 10 Stunden und 15 Minuten wieder glücklich in Hausen am Albis.

(Tipp | Versuche am Abend nicht zulange ein Stiegen zu finden, welches vermutlich nicht mehr gibt. Je mehr Zeit und Höhe mit Suchen oder in schwachem Stiegen verloren geht, desto später erreicht man einen wirklichen Hotspot. Einige Hotspots gehen aber in der Regel besonders lange, beispielsweise der Falknis bei Sargans, die Nuna im Engadin, die Schrattenfluh im Emmental oder Weissmies/Fletschhorn und Dom im Wallis.)

 

Fazit | Einen Schweizer Rekord (ML 1149km?) ist es nach dem eher frühen Thermikende und der nicht sehr hohen Basis nicht geworden. Ich denke die ML liegt wesentlich höher.
Der Flug wäre für mich mit einem Endteil ins Wallis und dem Erreichen der Endanflughöhe am Dom perfekt gewesen. Die Wetterlage spielte da nicht mit.
Aber mit 1081.8km ist es jedoch meines Wissens der bisher weiteste, rein thermischer Apenstreckenflug über 3 freie Wendepunkte nach FAI aus der Schweiz.

Solche Strecken sind auch der technischen Weiterentwicklung zu verdanken. Die JS1-C mit 21m ist einfach ein super Flieger. Übrigens hatte ich 100L Wasser dabei und so eine mittlere Flächenbelastung (49kg/m2). Der Tag war eigentlich nicht besonders Spitzenklasse. Jedoch von Beginn bis zum Ende äusserst homogen und zuverlässig, mit guten Linien und durchschnittliche Steigwerten so um 2-2.5m/s.

WeGlide.org: 1102km | 111km/h | Jürg Haas | JS1-C